Mittelalterliche „Kriegerin“ war ein Zwitter

Mittelalterliche „Kriegerin“ war ein Zwitter

DNA-Analysen belegen XXY-Genetik für finnische „Frau mit zwei Schwertern“

Überraschende Entdeckung: Ein bisher als „Kriegerin mit zwei Schwertern“ bekannter Grabfund aus dem mittelalterlichen Finnland bekommt nun eine ganz andere Deutung. Denn die mit weiblichem Schmuck, aber zwei Schwertern bestattete Person trug die Chromosomen-Kombination XXY, wie DNA-Analysen enthüllen. Damit litt dieser Mensch am Klinefelter-Syndrom – er war ein Zwitter. Was aber bedeutet dies für seine Rolle in der nordischen Gesellschaft des Mittelalters?

Gängiger Annahme nach waren die Rollen im Mittelalter klar festgelegt: Kriegshandwerk war Männersache, während die Frauen sich um Haus, Herd und Kinder kümmerten. Doch es gibt einige Grabfunde, die diese klare Geschlechtertrennung in Frage stellen. Darunter ist ein Wikinger-Anführer, der mit Waffen und Pferd bestattet wurde – sich aber in DNA-Analysen als Frau erwies. Auch einige andere Wikingerfrauen bekamen Kriegsäxte und andere der männliche Rolle zugeschrieben Beigaben ins Grab.

Frauenschmuck, aber zwei Schwerter

Doch ein 1968 im Süden Finnlands entdecktes Grab ist selbst für eine mögliche Kriegerin ungewöhnlich. In ihm liegen die Überreste eines Skeletts, das mehrere Broschen trägt, wie sie für weibliche Kleidung typisch waren. Zusätzlich fanden Archäologen in diesem aus der Zeit um 1040 bis 1174 stammenden Grab jedoch zwei Schwerter und ein Messer. Zwei Waffen lagen an der linken Hüfte der Toten, das andere wurde im Erdreich über dem Skelett gefunden.

Das Merkwürdige daran: „Es ist für Skandinavien sehr ungewöhnlich, ein Schwert in einem Grab zusammen mit typisch weiblichen Artefakten zu finden“, erklären Ulla Moilanen von der Universität Turku und ihre Kollegen. „Denn die Gräber weiblicher Toter mit Schwertern enthalten in der Regel keinen Schmuck oder sonstige feminine Accessoires.“ Kriegerinnen, so die Annahme, kleideten und verhielten sich damals entsprechend der männlichen Rolle. Mischformen – so die Annahme – konnte es wegen der starren Rollenverteilung in den nordischen Kulturen des Mittelalters nicht geben.

Spurensuche in der DNA

Wie aber passt das Grab von Suontaka in dieses Bild? „Wegen der ungewöhnlichen Kombination der Objekte vermuteten einige Forscher sogar, dass ursprünglich zwei Tote in diesem Grab gelegen haben müssen – ein Mann und eine Frau“, erklären Moilanen und ihr Team. Dagegen spreche jedoch, dass das Grab für zwei Tote zu klein sei und es keine Hinweise auf die Relikte einer zweiten Person gebe.

Um mehr über diese rätselhafte Tote zu erfahren, haben die Archäologen nun Überreste und Grabbeigaben noch einmal näher untersucht und Proben der Gebeine einer DNA-Analyse unterzogen. Das extrahierte Genmaterial erwies jedoch als zu stark degradiert, um das komplette Erbgut zu sequenzieren. Dem Team gelang es aber, eine Bestimmung der Geschlechtschromosomen durchzuführen.

Tote hatte XXY als Geschlechtschromosomen

Das überraschende Ergebnis: „Trotz der geringen Menge an lesbaren Sequenzen haben wir eindeutige Belege dafür gefunden, dass die Person aus dem Suontaka-Grab den Karyotyp XXY besaß. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 99,75 Prozent“, berichten Moilanen und ihre Kollegen. Das aber bedeutet, dass die vermeintliche Kriegerin ein biologischer Zwitter war – das Individuum litt am Klinefelter-Syndrom.

Bei dieser Chromosomenanomalie sind die Betroffenen anatomisch männlich, können aber ab der Pubertät mehr oder weniger feminine Merkmale entwickeln, darunter gerundete Hüften, Ansätze einer weiblichen Brust und eine geringere Muskelmasse. Die Hoden sind meist anomal klein, auch der Bartwuchs ist meist nur spärlich. In vielen Fällen sind die Abweichungen aber so gering ausgeprägt, dass selbst die Betroffenen zunächst nichts von ihrer Chromosomenanomalie bemerken.

Zwischen den Geschlechtern

Was aber bedeutete dies für die „Kriegerin mit den zwei Schwertern“? Könnte das Klinefelter-Syndrom erklären, warum diese Person mit Accessoires beider Geschlechter ausgestattet war? Wie die Forschenden berichten, sind bereits drei Gräber von Menschen mit XXY-Chromosomen bekannt, zwei aus dem Skandinavien der Wikingerzeit und eines aus den jungsteinzeitlichen Mitteleuropa. In allen Fällen wurden die Toten aber mit allen Attributen nur eines Geschlechts begraben.

„Unseres Wissens nach wäre Suontaka damit der erste Fall einer solchen Chromosomenanomalie, bei dem es eine atypische Kombination aus Attributen beider Geschlechter gibt“, konstatieren Moilanen und ihr Team. Diese Person könnte damit zu den wenigen Menschen gehört haben, die die strikten Geschlechterrollen des nordischen Mittealters aufbrach und eine Zwischenposition einnahm. Bisher ist eine solche nicht-binäre Rolle nur von einem mittelalterlichen Schamanen der Samen bekannt – dieser war allerdings biologisch männlich.

Geachtet und respektiert

Klar scheint jedoch: Die in Suontaka bestattete Person genoss zu Lebzeiten ein hohes Ansehen. „Die reichliche Menge an Grabbeigaben ist der Beleg dafür, dass dieser Mensch nicht nur akzeptiert war, sondern auch geschätzt und respektiert wurde“, erklärt Moilanen. Auch das Bett aus weichen Decken und Fellen spricht für seinen hohen Rang.

Wie sich diese Person aber zu Lebzeiten definierte und welche Rolle sie in ihrer Gesellschaft einnahm, ist weiterhin rätselhaft. „Unsere Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass es selbst in der maskulin und kriegerisch geprägten Gesellschaft des mittelalterlichen Finnland einzelne Individuen gegeben haben könnte, die nicht in ein binäres Rollenmodell passten“, konstatiert das Forschungsteam. (European Journal of Archaeology, 2021; doi: 10.1017/eaa.2021.30)

Quellen:
University of Turku
scinexx.de

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